Nominierung 2016 (4): Tobi Dahmen – „Fahrradmod“

Man hat ja irgendwann gedacht, dass kommt gar nicht mehr.

Online konnte man seine Entstehung mitverfolgen, in einem quälenden, qualvoll langsamen, sicht acht Jahre streckenden Prozeß. 2007 war zum ersten Mal davon zu hören, Tobi Dahmen, hochtalentierter Comiczeichner und Fanzine-Herausgaber aus NRW arbeitet an einem Comic zur Mod- und Skinkultur vor dem Hintergrund seiner eigenen Autobiografie. Mal waren regelmäßig neue Seiten zu sehen, dann lange nicht.

Man hätte ihn schubsen und drängeln wollen. Denn Dahmen hat sich mit seinen Kurzgeschichten (u.a. „Sperrbezirk“, Zwerchfell) als einer der interessantesten deutschen Comicerzähler erwiesen. Aber all das Drängeln und Schubsen hätte nichts genutzt, denn dann hätten wir ohne Frage nicht das, was vor uns liegt: ein Ausnahmecomic, nicht nur im Genre der autobiografischen Comics, sondern auch unter den Comics aus heimischer Produktion an sich.

Autobiografische Comics haben den Hang zur Ernsthaftigkeit und zum Drama, es hat sich ein wenig die Idee festgesetzt, dass nur persönliche Katastrophen autobiotauglich sind. „Fahrradmod“ ist all das nicht oder nur am Rande. Die Geschichte, wie der Autor und Ich-Erzähler im Kaff Wesel am Niederrhein (30.000 Einwohner) aufwuchs, ist vor allem offen, locker, amüsant und vor allem ungeheuer lebendig erzählt.

Es ist eine Liebeserklärung Bild_Nominierung_04_Tobi-Dahmenan die eigene Subkultur, die der Mods, und Dahmen macht die, indem er der Musik breiten Platz einräumt. (Der Soundtrack zum Buch kann hier angehört werden.
https://www.mixcloud.com/Fahrradmod/fahrradmod-the-soundtrack-a-time-travel-through-ska-soul-jive-and-mod-sounds-and-psychobilly/) Unter den Ereignissen, die ein Aufwachsen so individuell und gleichzeitig allgemein zugänglich machen – die ersten Partys, der erste Sex, die vielen vielen Abende mit Kumpels daheim und anderswo – liegt immer die Musik. Und Dahmen gelingt es, sie tatsächlich zu zeichnen, indem er ihr Platz einräumt – für Lyrics, für Tänzer, für beeindruckende Doppelseiten aus Clubs und von Konzerten.

Damit gehört Dahmen zu den wenigen, die das Format der Graphic Novel tatsächlich begriffen haben. Das eben nicht heisst, dass man jetzt auch mal mit mehr Seiten arbeiten kann. Sondern dass man wissen muss, sie zu nutzen. Dass hier nichts gedrängt wird, dass jede Seite eine ungeheure Offenheit und Leichtigkeit ausstrahlt, trägt entscheidend zur Lesefreude am Buch bei. Und wie anders will man über Jugendkulturen reden, wenn nicht im Geist der Befreiung?

Wenn sich jemals das Warten auf ein Buch gelohnt hat, dann hier.

Verlag: Carlsen, 480 Seiten, 29,99
https://www.carlsen.de/hardcover/fahrradmod/66665

Homepage: http://www.fahrradmod.de/

Merken

Dieser Beitrag wurde am von unter Allgemein veröffentlicht.